Masurische Seenplatte
Allein, nur Du und ich auf einem Boot? Perfekt, genau das, was wir wollen. Eine Woche lang mit gemietetem Schiff einer Yachtcharterfirma, die Masurischen Flüsse und Seen Polens entdecken. Ankommende Urlauber werden am Chopin Flughafen in Warschau, von Peter in Empfang genommen. Er drängelt sie vor die Tür, wo Fahrer und Bus geduldig warten. Mit dem Shuttle Bus wollen Peter und die Touristen nach Piaski, zum Basis Ort der Yachtcharterfirma. Etwa 200 km müssen sie zurücklegen. Der Bus ist jetzt schon so voll, dass die Einweisung durch das Gerangel unter den Fahrgästen nicht einfach werden wird. Schnell wird bewusst, dass der Ort Piaski auch Anziehungspunkt für den Radlsport ist und dort auch die Yacht Classic Lady liegt. Peter und sein Team haben auf dem Kreuzfahrtschiff reserviert, andere auf die Kormoran 940. Peter hat ein breites Grinsen im Gesicht und lästert leise vor sich hin: auf geht’s!
Nach knapp fünf Stunden fährt der Bus in eine Waldbiegung auf eine holprige Straße. Unsicher schauen wir nach vorn und entdecken nach endlos, grüner Landschaft endlich das Wasser. Begeistert, endlich am Ziel angekommen zu sein, sehen wir vor uns den Lezioro Beldany, einen 10 km2 großen Gletschersee. Die Abendsonne scheint am Horizont, orange, violett, purpurn, ein Farbbild, atemberaubend schön. Kraniche fliegen über uns, Wellen verstummen am Ufer, plätschern an den Steg. Wir sind da, angekommen. Die Masurische Seenplatte, eine faszinierende Landschaft voller Seen. Die genaue Anzahl ist nicht bekannt, aber schätzungsweise sind es ca. 3000. Ihren Ursprung teilen sie mit anderen See Gebieten, die entlang der südlichen Ostsee verlaufen. Die Niederungen der Masurischen Seenplatte entstanden vor vielen Tausend Jahren während der Eiszeit. Die heutigen Hügel, Erhebungen und Furchen zwischen den Felsen entstanden aus früheren Gletschern. Über Jahrzehnte füllten sie sich mit Wasser und begeistern heute mit einem einzigartigen Naturschauspiel. Unzählige, flache Seen und Rinnsale haben sich gebildet, tief und klar. Der Jezioro Beldany gehört dazu und ist mit 12 km Länge und 1,5 km Breite einer der größten Seen der Masuren. Stattliche 45 m soll er tief sein.
Wir überlegen, möglich wäre die Route von Piaski am östlichen Ufer des Jezioro Beldany nach Ruciane Nida, ein Abstecher dahin würde sich lohnen…. Doch nach Ruciane Nida dürfen Motorboote leider nicht mehr fahren. Was bleibt uns also anderes übrig, als eine knappe Woche weiter Richtung Norden zu fahren. Gesagt, getan. Tags darauf chartern wir über den See bis zu unserem Ziel Mikolajki. Wir bestaunen aus der Ferne Galindia, ein toller Freizeitkomplex mit Hotels und Vergnügungspark. Touristenattraktion für Groß und Klein in Masurien. Der Steg zum Anlegen war auf der Hin- wie auch Rückfahrt belegt. Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Mikolajki. Zur rechten Seite sehen wir den größten Fluss Polens, den Sniardwy. Desweiteren am Ufer den Hafen Popielno, der nur wenige Meter von uns entfernt ist und Zeit für eine kurze Besichtigung bietet. Ein idyllisches Fleckchen Erde, hier finden Urlauber noch weidende Wildpferde, die in freier Natur leben. Der Hafen selbst ist klein und überschaubar, bringt Stimmung und reizt mit seinen vielen, kleinen Booten. Der Jezioro Sniardwy hat übrigens den Beinamen Masurisches Meer bekommen, fast so groß wie der Müritz See. Jedoch hat der See auch seine Schattenseite, wenn das Wetter umschlägt. Wie auf offener See und seiner nur geringen Tiefe von knapp 6 m, kann er bei aufkommendem Wind ungeheuerlich wirken und hohe Dünen erreichen. Für Schiffer in diesen Momenten sind Steine und Sandbänke gefährlich, wenn sie zu nah am Fahrwasser liegen. Das Rudern wird dadurch erheblich erschwert. Der Jezioro Sniardwy ist für seine Wetterumschwünge bekannt, auch andere Seen sind davon betroffen, wir werden es auf unserer Reise noch merken. Aber momentan scheint die Sonne und lacht uns an. Ein Blick nach vorn und wir sehen von Weitem bereits den Ort Mikolajki. Südlich von der Seenlandschaft traumhaft eingebettet. An Land gehen wir zu Fuß zum Stadtkai. In der Ekomarina bekommen wir einen ausgezeichneten Service. Heut, an diesem sonnigen, warmen Sommertag tummeln sich tausende Touristen am Ufer und bummeln die Promenade entlang. Zum Verweilen gibt’s Eis, Pizza und für die Kleinen auch Popcorn. Musik von ABBA ertönt aus vielen Lautsprechern am Ufer. Basare und Flohmarkttreiben locken Gäste hierher, eine kleine Bimmelbahn schlängelt sich durch die kleinen Straßen und macht mit lautem Gebimmel auf sich aufmerksam. Wir finden auf unserem Weg einen Discounter und kaufen alles ein, was wir für die nächsten Tage benötigen. Begeistert von der Theke, die mit hausgemachter Wurst bestückt ist, kommen wir uns vor wie im Paradies. Das Bestellen stellt sich als ein wenig schwierig heraus, denn weder englisch noch deutsch versteht die nette Verkäuferin, lächelt uns aber sehr freundlich an. Mit Mimik und Gestik signalisieren wir der Verkäuferin, welche Wurst wir gern hätten und wie dick sie die Scheiben schneiden soll. Auf Polnisch redet sie mit uns, obwohl wir kein Wort verstehen und trotzdem bekommen wir mit einem freundlichen Lächeln all das, was wir haben möchten. Wir haben ein paar Wörter auf Polnisch gelernt und können das nächste Mal im Supermarkt gelassener einkaufen gehen. An der Uferpromenade finden wir das Lokal Oaza mit einer deutschen Speisekarte und spontan entscheiden wir uns dort einzukehren um Schweinefleisch mit Pilzen zu essen. Spärlich schwimmen die Schwammerl in der Suppe aber es schmeckt ausgezeichnet und vom Preis ist es sehr günstig. Knapp sieben Euro haben wir pro Essen bezahlt. Mit Suppe, Hauptgang und sogar Nachspeise wurden wir satt. Auf geht’s wieder zum Schiff. Erschrocken über unsere Unachtsamkeit stellten wir fest, dass wir unsere Kabinen zwar verschlossen hatten aber dafür vergaßen die Fenster zu schließen. Einbrecher hätten leichten Zugang bekommen und freie Wahl, bei dem was sie mitnehmen hätten können. Wir hatten Glück, es ist nichts passiert, ungebetene Gäste blieben aus und gestohlen wurde auch nichts. Müde fallen wir ins Bett um am nächten Morgen ein Highlight zu erleben. Nachdem wir abgelegt haben, kommen wir an der Brücke von Mikolajki vorbei, sehen dort einen Fisch aus Plastik und Krone. Fest im Wasser verankert, ist er Symbol des berühmten Stinthengstes. Der Legende nach kam er mit den Fischern kam nicht zurecht, boykottierte deren Schiffe und hatte einen harschen Umgangston, benehmen konnte er sich auch nicht. Man sagt, dass er mit Zauberei und Magie irgendwann eingefangen wurde. Man erzählt sich, dass der Fischkönig all denen einen Wunsch erfüllte, die sich ihm näherten und seine Flossen berührten. Die Bewohner von Mikolajki standen in seinem Bann, ließen das Fabelwesen nicht wegschwimmen. Er wurde angeleint, um sich der Traumvorstellungen und Hoffnung der Leute anzunehmen, solange er lebe. Es scheint sich bis heute bewahrheitet zu haben, denn die Stadt Mikolajki zeigt sich von ihrer besten Seite für Urlauber und Touristen. Leise und ruhig laufen wir am Stinthengst vorbei, um ihn nicht zu erzürnen, schließlich wollen wir nicht riskieren, dass er sich los reist.
Auf geht’s zum nächsten See, dem Jezioro Talti. Dort angekommen, ist Rudern angesagt. Nicht ahnend, wird dies für uns einer der schönsten Abschnitte auf dieser Reise. Der Jezioro Talty und der Niegocin sind zwei miteinander verbundene Seen. Viele kleinere Seen und Kanäle ohne Schleusen faszinieren diese Etappe auf dem Wasser. Das aus dem frühen 18. Jahrhundert entstandene Kanalsystem ist in einwandfreiem Zustand und ausführlich beschriftet. Zu Beginn passieren wir den Kanal Talski mit einer Länge von ca. 1,6 km. Frische Waldluft atmen wir ein, rein und sauber, selten haben wir so durchatmen können. Über dem Taltowisko See sehen wir Schwärme von Schwalben fliegen, wovon sich die ein oder andere auch mal zu uns auf das Boot verirrt und dort verharrt. Jetzt erblicken wir den Hafen von Zielony Gay. Zwischen dem Grunwaldzki (500m) und Miodunski (2 km) Kanal liegt der kleine Hafen, der bis zum letzten Steg besetzt ist. Keine Menschenseele lässt sich blicken, eine Ruhe die fast schon mystisch ist, liegt in der Luft. Plötzlich rauer Wind, eine größere Segelyacht rauscht an uns vorbei, weiter vorn erblicken wir ein Ausflugsschiff.
Kurz vor Mittag ist nun auch der Letzte wach und wir passieren vom Szymoüski Kanal (2,4 km) den Jagodne See, der ein paar Kilometer weiter in den Boczne See mündet. Plötzlich wird es dunkel, die Sonne verschwindet, dunkle Wolken ziehen auf. Kurzentschlossen legen wir an, es ist Mittagszeit und wir haben einen Steg zum Anlegen vor uns. Fest verankert beginn es auch schon zu donnern, in der Ferne blitzt es gewaltig. Wenig später hat sich das Wetter wieder beruhigt, wir machen uns auf die Suche nach einem Geschäft und werden bei einem kleinen sklep fündig. Die Sehmerle sicher im Yachthafen untergebracht, der mit fast 500 Liegeplätzen für die Urlauber ausgestattet ist und auch sonst einen sehr modernen Eindruck hinterlässt. Desweiteren gibt’s eine Pizzeria im Ambiente eines Biergartens und ein nobles Restaurant im Schloss. Das Schloss Steinort ist nur ein paar Meter vom See entfernt und ein Denkmal aus dem ehemaligen Ostpreußen. Der Zustand gleicht einer Ruine, nur mit einzelnen Vorsichtsmaßnahmen wird es bis heute vor dem endgültigen Zerfall bewahrt. Einst Herrenhaus und Wirtschaftsunterkunft für Bedienstete, ist es heute in einem desolatem Zustand und nicht betretbar. In Aussicht steht die Instandsetzung des Schlosses, damit Urlauber und Touristen einen Einblick in das frühere Leben bekommen. Für Events und Veranstaltungen soll es zukünftig kulturell genutzt werden. Das Schloss Steinort hat neben der kulturellen Anerkennung auch einen geschichtlichen Hintergrund, denn Völkermord und Terror gab es auch hier. Graf Lehndorff war Gutsherr auf dem Schloss im Jahr 1939 als der Krieg begann. Kurze Zeit später begannen Nationalsozialisten die Wolfsschanze zubauen, ein Quartier für die Führer der NS. Einer davon war Ribbentrop, Außenminister. Er sah sich nicht nur als Gast sondern lies sich ganz auf Schloss Steinort nieder. Es brodelte zwischen Graf Lehndorff und Ribbentrop, Widerstand machte sich breit. Lehndorff liess sich von dem Nazi Führer jedoch nicht beiiren. Im Juli ´44 wurde auf Hitler ein Anschlag geplant, doch die Wolfsschanze war gut gerüstet, das Attentat misslang. Die Verschwörer wurden bis aufs Letzte gejagt und verhaftet. Eine Wandlung begann, es wurden neue Maßstäbe gesetzt. Zitat von Lehndorff in einem Abschiedsbrief an seine Ehefrau am 3. September. Einen Tag darauf wird er hingerichtet in Berlin Plötzensee. In Erinnerung stehen seine Gedanken am Eingang zum Schloss an einem Gedenkstein. Einst wunderschön bepflanzt in einem Blumenkreis sprießen nur zwei kleine Rosenbüsche aus dem Boden, die neue Triebe wachsen ließen. Ein Farbtupfer in der öden Natur, der symbolisch an die Grausamkeit der früheren Zeiten erinnert. Auf dem Rückweg zum Hafen kommt uns bereits von Weitem ein Duft ofenfrischer Pizzen und Lagerfeuer entgegen. Menschen in ausgelassener Stimmung laufen und sitzen am Lagerfeuer, genießen die sommerliche Wärme und Gemütlichkeit im Schein des Feuers. Im Hintergrund hören wir, wie die letzten Ausflügler in den Hafen manövrieren. Die einen legen ab, neue kommen hinein. Dieses Kommen und Gehen hätte dem Schlossherren sicher gefallen, dessen sind sich Einwohner und Touristen ziemlich sicher. Wir werden die polnischen Masuren in toller Erinnerung behalten, die Städte Szytynort und Mikolajki, die vielen kleinen Flüsse und Seen. Jungfräulich und altertümlich, den Blick in die Zukunft gerichtet. Auf der Rückfahrt halten fahren wir an Piaski vorbei und machen einen kurzen Zwischenstopp in Gizycko. Ein Städtchen mit vielen großen und kleinen Yachthäfen. Neugierig auf die Ekomarina am See Niegocin, die im Jahr 2010 erbaut wurde, stürmen wir darauf zu und schauen uns um. Eine komfortable Anlage mit vielen Liegeplätzen und tollem Restaurant. Kleine Bars und Lokale sehen wir auf dem Weg in die Stadtmitte. Geschäfte zum Bummeln reihen sich aneinander, die Stadt zum 400 jährigem Jubiläum ist fein herausgeputzt. Busse pendeln vom Bahnhof hin und her, die Stadt zeigt sich von ihrer besten Seite. Ein wenig zu viel Trubel für unseren Geschmack und so machen wir uns wieder auf dem Weg ans Ufer zu unserem Boot. Unschwer am dunklen Himmel zu erkennen, beeilen wir uns, denn Rasmus, der Windgott zieht alle Register und lässt einen gewaltigen Sturm aufkommen. Seeleute sind in Bereitschaft, Warnlichter werden eingeschaltet, das Team der Wasserrettung macht sich bereit. Am Niegocin herrscht Aufruhr. Es geht los, vom Süden rollt das Unwetter an, Wellen peitschen an das Ufer, nur von einem einzigen Wellenbrecher gehindert. Die Mole hält Stand und stoppt ein wenig die tosenden Wellen, es knistert und pfeift, Windböen und Regen verbieten die Sicht, ganze zwei Stunden dauert der Spuk, dann ist alles vorbei und die Seeleute wagen sich wieder aufs Wasser hinaus. Die masurischen Seen haben zwei Gesichter. Respekt und Vorsicht, wenn ein Unwetter aufzieht. Entspannung und Erholung, wenn die See ruhig ist. Erholt von dem Naturschauspiel erwartet uns am folgenden Tag Besuch. Herzlich begrüßt uns ein stattlicher, junger Mann, nachdem wir in Ryn angelegt haben. Er stellt sich als Hermann vor, aus Hannover kommend, er sei die Mutter von Polen. Er stammelte auf Polnisch und lächelte, wir verstanden leider gar nichts, fanden aber seine Art und Mimik rührend. Neugierig wollte er wissen, wie hoch bei uns in Deutschland die Arbeitslosenquote ist und ob wir das Leben in Polen teuer empfinden. Als wir antworten wollten, wurde er von der Hafenchefin in die Schranken verwiesen und zurück an Land beordert, sagt er noch schnell zu uns: 10 Euro, Du verstehst? Er wollte betteln, wusste dass wir Deutsche sind und sicher großzügig gewesen wären. Wir ließen uns von diesem Zwischenfall nicht beirren und erfuhren, dass die Woiwodschaft Warminso Mazurskie eine Gegend mit den meisten Arbeitslosen ist, Ryn die Stadt lässt uns das real spüren. Gegensätze ziehen sich hier gewaltig an. Einerseits gibt’s Sternehotels mit üppiger Gastronomie, erbaut oder modernisiert von Gebäuden aus dem 14. Jahrhundert, andererseits sehen wir Häuser mit Fassaden, die alt und zerfallen sind und ein Zuhause für Menschen wie Hermann. Wir sind bedrückt und beeindruckt zugleich. Doch Ryn geht mit der Zeit und zeigt sich mit einem modernisierten Weg am Ufer, Möglichkeiten für Boote zum Anlegen werden neu gebaut. Die Steganlage in Danica Zerglardka Stock bietet momentan 18 Anlegeplätze und es sollen noch weitere hinzu kommen. Die Stadt wird sich toll entwickeln, da sind wir uns sicher. Mit dieser Erkenntnis machen wir uns auf die Suche nach einem Supermarkt, kehren danach in ein uriges Lokal ein. Am Fuß der Burg finden wir die Gaststube Ryüski Mlyn, mit alter, voll funktionierenden Schlossmühle. Ein letztes Mal lassen wir uns polnische Piroggen schmecken und schlürfen eine deftiges Mehlsüppchen. Heute ist unser letzter Tag, morgen müssen wir zurück. Ryn, eine Stadt in ruhiger Lage mit abgelegenen und zentrumsnahen Anlegeplätzen für Boote und Schiffe.